Kapitel 1
Aufgeregt lief Pia die Straße entlang. Der schwere Beutel zog ihre rechte Schulter in die Tiefe, aber sie steuerte mit ihrer linken dagegen. Sie kam sich vor wie eine bucklige Alte. Für die hübsche Rosenhecke vor dem Haus, deren süßer Duft die Luft erfüllte, hatte sie weder Auge noch Nase und auch das Grüßen einer Nachbarin ging reaktionslos an ihr vorüber. Pia strahlte bis über beide Ohren, bekam nichts mit und blendete ihre unmittelbare Umgebung aus. Ihr Kopf war voll mit den To-dos des Tages. Je näher sie Mareks Wohnung kam, umso nervöser wurde sie. Ihr Herz schlug schneller und ihre Handinnenflächen wurden feucht. Und das lag nicht nur am hitzigen Sommer. Vor der Haustür überprüfte sie in der Glasscheibe ihr Outfit und roch heimlich unter ihren Armen. Alles war in bester Ordnung.
Mit dem Schlüssel in der Hand lief sie die Stufen nach oben, bis in den vierten Stock. Plötzlich öffnete sich mit einem Schwung die Nachbartür und Pia fuhr erschrocken zusammen. Der schwere Beutel drohte ihr von der Schulter zu rutschen, doch im letzten Moment konnte sie mit einer ungraziösen Verrenkung ein Aufschlagen auf den Boden verhindern.
»Guten Morgen!«, rief ihr Tills muntere Stimme zu. Breit grinste er sie an. »So möchte ich auch gern mal zum Geburtstag überrascht werden.« Sein kurzes blondes Haar hatte er elegant gescheitelt, was gut zu dem schicken grauen Anzug passte, den er trug. Farbliches Highlight war das dunkelrote Hemd, das ihm einen verwegenen Touch verlieh.
Verwirrt sah sie ihm nach, als er an ihr vorbeihuschte und die Stufen hinunterging. »Wie meinst du das?«
»Keine Angst, ich schweige wie ein Grab.« Er zwinkerte ihr zu und verschwand beim nächsten Treppenabsatz aus ihrem Blickfeld.
Sie zog die Stirn kraus und schüttelte den Kopf. Langsam drehte sie den Schlüssel im Uhrzeigersinn, bis das leise Knacken ertönte und sich die Tür öffnete. Sie zog die Schuhe aus und lief auf Zehenspitzen weiter durch den Flur. Die schwere Einkaufstasche stellte sie auf der Küchenzeile ab und schloss vorsichtig die Tür hinter sich, damit Marek nicht durch ihr Gerumpel wach werden würde. Leise summend packte sie die Lebensmittel aus. Orangen, für selbst gepressten Saft, Mareks Lieblingskäse aus dem Feinkostladen an der Ecke, etwas Aufschnitt und Räucherlachs. Marmelade hatte sie für sich selbst mitgebracht, denn Marek mochte es zum Frühstück eher herzhaft. Sie packte noch zwei Becher Mousse au Chocolat, die Tüte mit den frischen Brötchen und schließlich den kleinen Kuchen, den sie mit einer Geburtstagskerze verzieren wollte, auf den Küchentisch. Obwohl sie sich überwiegend vegetarisch ernährte, überwand sie ihre Abscheu und briet ihrem Freund Marek Eier mit Speck. Es war schließlich sein Geburtstag. Als es lautstark in der Pfanne knisterte und sich der Geruch des gebratenen Specks in ihre Nase verirrte, verzog Pia das Gesicht und hoffte, dass Marek es nicht hören würde.
Im Anschluss an die Vorbereitung deckte sie den Tisch vor dem großen Fenster im Wohnzimmer, darauf bedacht, so leise wie möglich zu sein. In die Mitte des Tisches stellte sie eine dünne Vase, die sie von zu Hause mitgebracht hatte, und bestückte sie mit einer langstieligen roten Rose. Passend dazu faltete sie dunkelrote Servietten und legte sie auf die beiden Teller. Zufrieden ließ sie den Blick über den fertig gedeckten Frühstückstisch schweifen und atmete tief durch. Alles war perfekt. Leise öffnete sie das Fenster, um die frische Morgenluft hineinzulassen, und nahm den Blick über die Stadt in sich auf. Es war Freitagmorgen und sie sah auf den gut besuchten Arnimplatz, mitten in Prenzlauer Berg. Sie beobachtete ein paar Eltern mit ihren Kindern, die vermutlich auf dem Weg in die Kita waren und Spaziergänger, die ihren Hunden kleine Tüten mit deren Hinterlassenschaften bis zum nächsten Mülleimer hinterhertrugen. Die Sonne erwärmte sanft Pias Gesicht und das Grün der Bäume tat sein Übriges, um ihr ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Es würde ein fantastischer Tag werden, den sie liebevoll bis ins kleinste Detail geplant hatte. Nach dem Frühstück würden sie einen Ausflug zum See machen, schwimmen, die Sonne genießen und reden. Danach gab es Eis am Potsdamer Platz, denn dort befand sich Mareks Lieblingseiscafé. Für den Abend nahm sie sich vor, ein bisschen spontan zu sein und würde ihm die Wahl des Restaurants überlassen. Danach vielleicht noch Kino, wenn er darauf Lust hatte.
Pia sah auf ihre Uhr. Es war kurz nach neun. Den Kaffeeautomaten wollte sie erst anschalten, nachdem sie Marek mit leidenschaftlichen Küssen geweckt hatte, denn die Maschine arbeitete ohrenbetäubend und würde nur die Überraschung kaputtmachen. Pia sah sich ein letztes Mal um und prüfte, ob sie auch nichts vergessen hatte, dann schlich sie durch den langen Flur zum Schlafzimmer. Ein Schrei hallte unerwartet durch die Wohnung. Erschrocken zuckte sie zusammen. Dann ertönte ein zweiter Schrei, etwas leiser und tiefer. Mit einem Mal wurde ihr ganz flau im Magen. Der erste Gedanke, dass jemand Hilfe benötigen würde, verflog sofort. Sie riss die Schlafzimmertür auf und starrte in das verzerrte Gesicht von Marek, auf dessen Schoß eine nackte Brünette saß. Erschrocken sah er auf und zog die Nackte von sich herunter. »Pia, was machst du jetzt schon hier?«
»Ich, ich …« Ihr blieben die Worte im Hals stecken, als sie realisierte, dass ihr Freund sie gerade betrog. Anstatt etwas zu sagen, wirbelte sie herum und flüchtete. Als der hübsch gedeckte Frühstückstisch in ihr Blickfeld kam, überschlugen sich die aufkeimenden Gefühle und erzeugten in ihrem Inneren hohe Wellen. Es brodelte in ihr wie in einem Vulkan, der drohte auszubrechen. Mit einer einzigen Handbewegung fegte sie das komplette Frühstück vom Tisch. Sie sah rot. Das laute Scheppern des zerspringenden Porzellans drang nur ganz dumpf in ihre Ohren. Ihr Kopf arbeitete auf Hochtouren und schirmte alles um sie herum ab.
»Pia, was soll denn das?« Marek stürmte hinterher und geriet ins Straucheln, als er versuchte seine Jogginghose überzuziehen. Pia hielt abrupt an.
»Was das soll?« Das war doch nicht sein Ernst! Ihr erhitzter Körper zitterte. Sie konnte das Adrenalin spüren, das sie unter Strom setzte. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, spie sie ihm entgegen, schnappte sich ihre Schuhe und verließ wie ein wütender Stier die Arena der Schande. Im Hausflur stieß sie mit jemandem zusammen, aber der aufkommende Tränenschleier und die Scham sorgten dafür, dass sie einfach weiterlief. Jeder Schritt wurde begleitet von Schluchzen und Schniefen. In ihrem Kopf lieferten sich unzählige Gedanken ein Match der besonderen Art. Wenigstens kam der Bus gleich. Sie stieg ein, setzte sich in den hinteren Teil und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Niemand sollte ihre Tränen sehen, die unaufhaltsam über ihre Wangen liefen. Ihr Herz zog sich schmerzlich zusammen, als die Bilder des Verrats vor ihr auftauchten. Ihr Freund und die Nackte mit den wippenden braunen Haaren, wie sie sich die Seele aus dem Leib vögelten. Übelkeit überkam sie. Nachdem sie aus dem Bus gestiegen war, rannte sie die zwei Blocks keuchend bis nach Hause. Ihr Magen schmerzte fürchterlich, als würde eine Faust ihre Innereien in einem erbarmungslosen Klammergriff halten. Kälte stieg ihr die Speiseröhre hoch und brachte einen Brechreiz mit, den sie kaum unterdrücken konnte. Die tief sitzende Enttäuschung wollte raus und forderte die Freiheit gewaltsam ein. In letzter Sekunde schaffte sie es bis in ihre Wohnung und erreichte gerade noch die Toilette, als das Würgen begann und die bittere Galle Zuflucht in der Kloschüssel suchte. Ihr ganzer Körper zuckte und zitterte. Erbärmliches Quieken, gefolgt von Heulkrämpfen, setzte ein und zwang sie in die Knie. Zusammengerollt wie ein Häufchen Elend wiegte sie sich vor Erschöpfung in den Schlaf.
Kapitel 2
Das vertraute Geräusch einer eingehenden Nachricht ließ Pia langsam die Augen öffnen. Im ersten Moment schien alles gut zu sein, bis auf das unangenehme Ziehen im Nacken. Als sie realisierte, wo sie war und warum sie neben ihrem Klo auf dem schmalen Badvorleger lag, kam die Erinnerung wie ein erbarmungsloser Bumerang zurück und schleuderte ihr die Realität mitten ins Gesicht.
Marek hatte sie betrogen.
Mühsam setzte sie sich auf und rieb sich die Augen. Ihr war erneut zum Heulen zumute, aber die Quelle ihrer Tränen war vorerst versiegt. Sie zog das Handy aus der Tasche, die neben ihr auf dem Boden lag, und schaute auf das Display. Es war kurz nach vier. Hatte sie tatsächlich den halben Tag hier verbracht? Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Neben drei Anrufen von Marek, die sie ignorierte, sah sie eine Nachricht von ihrer besten Freundin Annika auf dem Display. Sie öffnete die App.
»Hallo Süße! Marek hat mir geschrieben, ich soll mich um dich kümmern. Gab es Stress auf Arbeit? Ich kann in einer Dreiviertelstunde bei dir sein.«
Pia antwortete mit einem knappen »Danke«, dann stand sie langsam auf. Ihre Beine fühlten sich so schwach an, als würden sie keinerlei Muskelmasse besitzen und ihre Kehle war ausgetrocknet. Mit der Zunge fuhr sie über ihre spröden Lippen. Der Blick in den Spiegel zeigte ihr das Antlitz einer aufgequollenen Zombieschönheit mit dunklen Augenringen und fahler Haut. Strähnig und schlapp hing ihr honigblondes Haar herunter und gab dem Desaster einen würdigen Rahmen. Ihr Herz fühlte sich an, als würde es in einem Schraubstock stecken. Der Druck schmerzte. Sie spülte sich gurgelnd den Mund aus, um den widerlich sauren Geschmack des Erbrochenen zu vertreiben. Dann tapste sie in die Küche und trank ein Glas Mineralwasser hinterher. Nachdem sie geräuschvoll aufgestoßen hatte, sah sie in den Kühlschrank, auch wenn der Hunger ausblieb. Es herrschte gähnende Leere, denn sie hatte alles mit zu Marek genommen. Und wieder überkam sie ein Gefühl der Trauer und Verzweiflung. Wütend schmiss sie die Kühlschranktür zu und ging ins Wohnzimmer. Eine geöffnete Tüte Erdnussflips lag auf dem Tisch. Pia ließ sich matt auf die Couch plumpsen, fischte ein paar trockene Flips heraus und kaute lustlos auf ihnen herum. Sie schmeckten wie gesalzene Pappe mit Erdnussaroma. Unbefriedigt ging sie zurück in die Küche und holte das große Glas Nuss-Nugatcreme aus dem Schrank und einen Esslöffel. Das war die Medizin für alles. Egal ob sie traurig war oder schlechte Laune hatte, diese braune Köstlichkeit tröstete sie ein wenig. Sie öffnete den Deckel, tauchte den Löffel hinein und steckte ihn sich in den Mund.
Im Wohnzimmer schaltete sie den Fernseher an und ließ sich sanft berieseln von den Dramen deutscher Seifenopern. Normalerweise schaute sie diese verblödenden Formate nicht, aber heute kamen sie ihr gerade recht. Sie gaben ihr das Gefühl, nicht ganz allein zu sein und dämmten die Gedankenflut etwas ein.
Es klingelte.
Lustlos schleppte sie sich an die Tür. Es war Annika. Mit einem aufgesetzten Lächeln, das sie nicht lange aufrechterhalten konnte, ließ sie ihre Freundin herein.
»Was ist los?« Annikas mitleidiger Gesichtsausdruck war zu viel. Die Dämme brachen erneut und Tränen fluteten ihre Wangen. Pia stürzte in die Arme ihrer besten Freundin.
»Süße, was ist passiert?« Annika versuchte sich von Pia zu lösen, aber diese ließ es nicht zu. Sie klammerte sich wie eine Ertrinkende an ihre Freundin und Annika gab ihr diesen Moment. Nachdem die Flut erneut alles aus Pia herausgespült hatte, ließ sie locker.
»Marek hat mich betrogen«, flüsterte sie.
»Was?« Annika konnte das leise Wispern nicht verstehen.
»Marek fickt eine andere!«, schrie sie ihrer Freundin entgegen. Annika stand mit offenem Mund da und brauchte einen Augenblick, um ihre Sprache wiederzufinden. »Bist du dir sicher?«
Erneut bahnten sich Tränen den Weg aus Pias Körper. »Ich … ich wollte ihn heute mit einem Geburtstagsfrühstück überraschen.« Sie geriet ins Stocken. »Seine Überraschung für mich war eine vollbusige Brünette, die nackt auf ihm saß.« Pia ätzte die Worte dahin, als wären sie pures Gift.
»Wow, krass.« Annika war erneut sprachlos. Sie zog ihre Jacke aus und umarmte ihre Freundin erneut. »Erzähl mir alles«, bat sie.
»Da gibt es nicht viel zu erzählen.« Pia löste sich, ging ins Wohnzimmer und hielt Annika die Flips vor die Nase. Diese lehnte mit einem zarten Naserümpfen ab und setzte sich zu ihr auf die Couch. »Ich bin echt geplättet«, gab sie zu.
»Ach komm, du mochtest Marek nie sonderlich.«
»Das mag sein, aber so ein hinterfotziges Verhalten, hätte ich ihm nicht zugetraut.«
»Pfff. Da kann ich ja froh sein, dass wir noch nicht zusammengezogen sind.« Missmutig schob sich Pia die nächsten Flips in den Mund. Dass ein paar daneben gingen und sich auf den Polstern ausbreiteten, störte sie in diesem Moment nicht im Geringsten. Das Schweigen ihrer Freundin entging ihr nicht. »Sag schon!«
»Was meinst du?«
»Dass er sowieso nicht mit mir zusammenziehen wollte, sonst hätte er es schon längst getan. Dass er mich irgendwie immer auf Abstand gehalten hatte. Dass …, ach scheiße. Dass du recht hattest.«
»Es tut mir so leid!«
»Kannst du heute bei mir bleiben?« Pia sah ihre Freundin mit traurigem Blick an. »Mädelsabend mit Lieferdienst und Serienmarathon?«
»Das würde ich gern, aber ich muss doch morgen früh nach Frankfurt fahren. Am Montag beginnt das Lifecoaching und Samstag und Sonntag treffe ich mich dort mit ein paar ehemaligen Kommilitonen.« Entschuldigend zog sie ihre Schultern nach oben.
»Ach ja, stimmt«, fiel es Pia wieder ein. Annika war dabei sich als Finanzcoach selbstständig zu machen und nahm jede Fortbildung und jedes vielversprechende Coaching in Anspruch, das sich ihr bot. Pia freute sich für ihre beste Freundin, dass sie sich ihren Traum erfüllte, aber es war einfach ungerecht. Sie brauchte ihre Freundin heute. Unwillkürlich fing sie wieder an zu schluchzen.
»Süße, ich bleibe zwar nicht über Nacht, aber ich werde den ganzen Abend mit dir verbringen, okay? Meine Sachen sind gepackt und die Unterlagen wollte ich eh erst im Zug durchgehen.«
Pia sah sie mit geröteten Augen an. »Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab?« Dankbar drückte sie Annika einen Kuss auf die Wange, auch wenn sie der Nacht bange entgegensah.
»Und ich dich!«
Nach unzähligen vollgerotzten Taschentüchern, ein paar rauen Wikingern, zwei leeren Pizzaschachteln und Schokoladeneis mit Browniestückchen wurde es Zeit, sich von Annika zu verabschieden und in eine ungewisse Nacht zu starten. Sie begleitete ihre Freundin bis zur Tür. »Wann bist du eigentlich wieder da?«
»Mittwochabend. Ich hoffe, du stehst das durch. Wenn du willst, können wir jeden Abend telefonieren, okay? Und zwischendurch können wir schreiben.«
Pia nickte stumm und versuchte ihre Enttäuschung zu verbergen, aber ihrer besten Freundin entging nichts.
»Pia, du schaffst das! Das ist nicht das Ende der Welt. Du bist nicht die Erste, die betrogen wurde, und du wirst auch nicht die Letzte sein.«
Vermutlich sollten sie diese Worte trösten, aber diese Wirkung kam nicht bei ihr an. Pia nickte kurz, drückte Annika halbherzig und wünschte ihr eine gute Fahrt. Dann schloss sie langsam die Tür.
»Schon klar, dass ich nicht die Einzige auf der Welt bin, die durch so einen Scheiß durch muss.« Schmollend ging sie zurück ins Wohnzimmer, kuschelte sich in ihre Decke und versank in Selbstmitleid. Sofort tauchte das Bild von Marek und seiner Gespielin vor ihr auf, wütete in ihren Gedanken herum und zerrte an ihren Nerven.
Wieso musste ihr das passieren? Warum fickte Marek eine andere? Ob er diese blöde Schlampe liebte? Oder steht er nur auf ihre Riesenmöpse? Aber so klein waren ihre eigenen auch wieder nicht. Oder war sie, Pia, so schlecht im Bett, dass er sich eine Neue suchen musste? Lag es an ihr? Jede dieser Fragen warf nur noch mehr Fragen auf, sodass ihr irgendwann schwindelig wurde. »Ich wünschte, ich hätte ihm eine fette Szene gemacht«, schmollte sie in sich hinein. Sie nahm den weichen Kuschelhasen, der auf der Rücklehne der Couch saß, und drückte ihn an sich. Er war ein Geschenk ihrer Oma, die vor einigen Jahren gestorben war. Sie war 89 Jahre alt, als sie eines schönen Frühlingstages nach Aussage der Ärzte friedlich einschlief. Ein Lächeln umspielte Pias Mundwinkel beim Gedanken an die lebenslustige Frau, die mit ihr in Endlosschleife Karten gespielt hatte. Pia schloss die Augen und wollte an die schönen Tage mit ihr zurückdenken, aber immer wieder schlich sich eine andere Szene in ihren Kopf. Marek und die Nackte. Die beiden torpedierten unentwegt ihren Verstand und drängten sich zwischen ihre Erinnerungen. Pia schnaubte wütend wie ein Stier und versuchte sich vorzustellen, wie die Szene hätte ablaufen sollen, nachdem sie die beiden auf frischer Tat ertappt hatte. Sie wünschte sich, sie wäre cool geblieben. In ihrem Kopf entstanden ein paar Szenen, wie sie besser hätte reagieren können.
Szene 1: Die Furie
Pia öffnet die Tür und starrt auf ihren untreuen Freund, der gerade von einer Brünetten zugeritten wird. Augenblicklich sieht sie rot und gibt die Zügel an eine dunkle Seite in sich ab. Wie ein Tornado stürmt sie auf das Miststück zu und zerrt es an den Haaren von Marek herunter und wirft es zu Boden. Die Fremde kreischt erschrocken auf, aber Pia lässt nicht von ihr ab. In ihrem Kopf setzt das Pfeifen des Songs Twisted nerv ein und schon zieht sie die Brünette am Arm und schleudert sie quer durch den Raum. Mit voller Wucht knallt diese daraufhin gegen den Schreibtisch, der unter ihr zusammenbricht. Gerade als sie sich wieder aufrappelt, packt Pia sie an den Schultern, zerrt sie zum geöffneten bodentiefen Fenster und schubst sie hinaus. Die Beziehungszerstörerin prallt gegen das Balkongeländer. Pia spürt eine unbändige Stärke in sich wachsen. Bevor die Brünette zusammensackt, gibt sie ihr einen kräftigen Stoß. Wie in Zeitlupe sieht sie ihre Kontrahentin fallen. Der panische Gesichtsausdruck ist eine Wohltat für ihre geschundene Seele.
»Pia, spinnst du?«
Die Augen zu Schlitzen geformt, nimmt Pia ihr nächstes Opfer ins Visier.
»Oh Marek, wenn du dich fragst, wann du in deinem Leben mal zu weit gegangen bist …«, langsam schreitet sie auf ihn zu. Das Gesicht wie versteinert. »Die Antwort ist: hier und heute.« Dann kickt sie ihn mit einem gekonnten Tritt zu Boden.
»Pia, bist du irre?« Durch seine weit aufgerissenen Augen starrt er sie ungläubig an.
»Ich denke nicht, dass du in der Position bist, solche Fragen zu stellen.« Begleitet von diesen Worten knockt ihn ihre Faust aus.
Szene 2: Die Kreative
Pia öffnet die Schlafzimmertür und starrt auf ein hormongesteuertes Intermezzo. Nackte Haut, die rhythmisch aufeinander klatscht. Mit verschränkten Armen lehnt sie sich in den Türrahmen.
Mit einem Mal schreckt Marek hoch. »Oh Gott, Pia. Es ist nicht das, wonach es aussieht.«
Pia schweigt und neigt den Kopf, dann zieht sie eine Augenbraue fragend in die Höhe. »Es ist nicht das, wonach es aussieht?« Ihre Stimme ist gefasst. Nachdenklich führt sie ihren Zeigefinger an die Unterlippe und tippt darauf herum. »Es ist nicht das, wonach es aussieht? Also, wenn das kein Sex ist, dann ist mir etwas Wichtiges in den letzten Jahren entgangen.« Ihre Stimme ist ruhig. Pia geht einige Schritte auf die beiden zu. Während sich die Brünette langsam von Marek herunterbewegt, stottert und druckst er herum wie ein Unwissender während einer Prüfung.
»Wenn das hier kein Sex ist, was ist es dann? Spielt ihr eine Szene aus Godzilla nach und du bist Tokio? Oder hat Missy hier vergessen, wo ihr G-Punkt liegt und du warst so hilfsbereit ihn zu suchen?« Mareks Schultern hängen schlapp herab und er weicht ihrem Blick aus, aber Pia ist in Fahrt und redet sich weiter in Rage. »Ist dein Schwanz seit Neuestem ein Detektor für Gebärmutterhalskrebs und sie deine erste Patientin?« Während sie mit dem Finger auf die Brünette zeigt, die sich gerade ihre Hose zuknöpft, macht sie einen Schritt auf Marek zu. Ihre Gesichter berühren sich beinahe. »Klär mich auf. Was ist es?«
»Pia, du benimmst dich kindisch. «Entsetzt sieht sie ihn an. »Kindisch? Ich benehme mich kindisch? Wenn dem so wäre, würde ich laut schreien: »Ihhh, was macht ihr da?« Oder Missy eins mit der Schippe überziehen. Aber ich versuche lediglich einen Sachverhalt, der mir eindeutig erscheint, genauer zu beleuchten, denn du sagst ja, es ist nicht so, wie es aussieht.«
Szene 3: Die Coole
Pia huscht durch die Tür und entdeckt Marek in wilder Verrenkung mit einer vollbusigen Brünetten, deren lange Locken verschwitzt an ihrem Körper kleben. Von einem Moment auf den Nächsten ebben ihre Gefühle ab, fahren hinunter in den Stand-by-Modus. »Störe ich?«
Marek und sein Betthäschen zucken zusammen.
»Was machst du hier?«
»Ich sehe den vermutlich schlechtesten Porno aller Zeiten.«
»Was? Wie?« Mehr bringt Marek nicht heraus.
Wenn es nicht so zum Heulen wäre, würde sie jetzt laut auflachen. Aber nicht einmal ihre Mundwinkel ließen ein Schmunzeln zu, denn der Schmerz saß einfach zu tief.
»Verdammtes Arschloch«, schrie sie in ihren Stoffhasen und weinte sich erneut die Augen aus.
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